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EU: Lieferkettengesetz erleidet enorme Rückschläge

Geltungsbereich der Richtlinie deutlich eingeschränkt – Sorgfaltspflichten für Unternehmen bleiben bestehen

Aktivist*innen aus ganz Europa demonstrieren am 23. September 2025 in Brüssel gegen die Bemühungen der EU-Regierungen, das EU-Lieferkettengesetz zu schwächen. © 2025 Friends of the Earth Europe/Flickr

(Brüssel, 16. Dezember 2025) – Mit der Zustimmung zu den endgültigen Änderungen am wegweisenden Gesetz der Europäischen Union zu unternehmerischer Rechenschaftspflicht in Lieferketten hat das Europäische Parlament den Geltungsbereich der Richtlinie erheblich abgeschwächt. Damit wird die Fähigkeit der EU, Unternehmen für Menschenrechts- und Umweltschäden zur Rechenschaft zu ziehen, massiv untergraben, erklärte Human Rights Watch heute.

Die Abstimmung über die Richtlinie zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht (auch bekannt als Corporate Sustainability Due Diligence Directive oder CSDDD) steht am Ende von acht Monaten intensiver Lobbykampagne durch die Industrie, einem intransparenten Gesetzgebungsprozess und chaotischen Verhandlungen. Die Änderungen verringern die Zahl der vom Gesetz erfassten Unternehmen drastisch und streichen die Verpflichtung zur Umsetzung von Klimatransitionsplänen.

„Von dem einst wegweisenden EU-Gesetz zur Unternehmensverantwortung ist nur noch ein Gerippe übrig“, sagte Helene de Rengervé, Senior Advocacy Expertin für Unternehmensverantwortung bei Human Rights Watch. „Der endgültige Text zeigt: Wirtschaftsinteressen werden über die Rechte von Arbeitnehmer*innen, Gemeinden und den Umweltschutz gestellt.“

Das ursprüngliche Lieferkettengesetz, das 2024 verabschiedet wurde und 2026 für Unternehmen verbindlich werden sollte, verpflichtete große Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten, die in der EU ansässig sind oder dort tätig werden, Menschenrechts- und Umweltschäden entlang ihrer globalen Lieferketten zu bekämpfen.

 

Die EU-Institutionen haben sich nun darauf verständigt, die Frist für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht auf Juli 2028 zu verschieben. Für Unternehmen wird sie erst ab Juli 2029 verbindlich gelten.

Das überarbeitete Gesetz wurde nach einem fehlerhaften und intransparenten Verfahren verabschiedet, kritisierte Human Rights Watch. Es begann am 8. November 2024, als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Reihe sogenannter Omnibus-Gesetze ankündigte, um den europäischen Green Deal zu vereinfachen. Die Änderungen, die erst im Februar 2025 öffentlich wurden, schwächten zentrale Bestimmungen zur unternehmerischen Rechenschaftspflicht. Dadurch wird es für Opfer von Menschenrechtsverletzungen deutlich schwieriger, Unternehmen vor Gericht zu bringen.

Eine großangelegte Lobbykampagne europäischer und US-amerikanischer Unternehmen – insbesondere der fossilen Brennstoffindustrie – hatte erheblichen Einfluss auf die Vorschläge der Kommission. US-Unternehmen setzten zudem erfolgreich durch, dass die US- Regierung im Rahmen der Handelsverhandlungen mit der EU auf eine Abschwächung des Gesetzes drängte.

Die Zivilgesellschaft war weitgehend von dem Prozess ausgeschlossen. Die EU-Ombudsfrau stellte fest, dass die Kommission ihre Berufung auf Dringlichkeit und die Einführung der Änderungen ohne transparente, faktenbasierte und inklusive Vorbereitung der Gesetzesvorschläge unzureichend begründet hat. Damit verstieß die Kommission gegen ihre eigenen Grundsätze guter Gesetzgebung und handelte fehlerhaft. Dieses Vorgehen gefährdet die Glaubwürdigkeit der EU, warnte Human Rights Watch.

Human Rights Watch sowie 170 weitere zivilgesellschaftliche Organisationen, zahlreiche Unternehmen und Investor*innen lehnten die Änderungen im Omnibus-Gesetz entschieden ab. Dennoch übernahmen die europäischen Regierungen und das Europäische Parlament viele dieser Anpassungen. Im Parlament stimmten zentristische Parteien gemeinsam mit rechtsextremen Kräften für die Verabschiedung.

Das geänderte Gesetz bewahrt einige wichtige Vorgaben, darunter die zentrale Verpflichtung für Unternehmen, wirksame Verfahren zur menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflicht entlang ihrer gesamten Lieferkette einzurichten. Ein früherer Vorschlag, den Anwendungsbereich der Sorgfaltspflicht nur auf direkte Zulieferer zu beschränken, wurde letztlich verworfen.

Unternehmen müssen weiterhin einen risikobasierten Ansatz verfolgen: Sie sollen zunächst in den schwerwiegendsten Fällen eingreifen, sind jedoch verpflichtet, alle festgestellten oder potenziellen Missstände in ihrer Lieferkette zu beheben.

Unternehmen müssen jedoch künftig keine Klimatransitionspläne mehr umsetzen, um ihre Treibhausgasemissionen zu überwachen und im Einklang mit dem wegweisenden Klimaabkommen – das von den EU-Staaten ratifiziert wurde – zu senken. Dabei sind die vom Gesetz erfassten Unternehmen, selbst in seinem eingeschränkten Anwendungsbereich, laut einer aktuellen Studie für fast zwei Drittel der gesamten jährlichen CO₂-Emissionen der EU verantwortlich.

Insgesamt haben die Änderungen die Zahl der von dem Gesetz erfassten EU-Unternehmensgruppen um 70 Prozent reduziert – von 3.363 auf 980. Zudem wurde die Verpflichtung gestrichen, dass Mitgliedstaaten ein einheitliches System schaffen, um Unternehmen vor EU-Gerichten für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Dies erschwert den Opfern den Zugang zu Gerechtigkeit erheblich.

„Das geänderte Gesetz ist weit davon entfernt, das bahnbrechende Lieferkettengesetz zu sein, das ursprünglich geplant war,“ sagte de Rengervé. „Doch Gemeinden, Arbeitnehmer*innen und zivilgesellschaftliche Partner sollten die verbleibenden Bestimmungen nutzen, um weltweit für Gerechtigkeit für die Opfer unternehmerischer Missstände zu kämpfen.“

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